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Die Schweizer sehnen sich nach mehr Sicherheit

Die Schweizer sehnen sich nach mehr Sicherheit

Das Land ist noch immer eine Insel der Geborgenheit – trotz globalen Krisen wie Krieg, Terror und Flüchtlingsströmen. Doch damit das so bleibt, braucht es mehr Anstrengungen.

Orte wie die Zürcher Langstrasse gelten nachts als beängstigend.

Orte wie die Zürcher Langstrasse gelten nachts als beängstigend.

Annick Ramp / NZZ

Selbst der Hort der Glückseligen hat Risse bekommen. Manchmal reichen dafür ein paar wenige Ereignisse, und Gewissheiten erodieren. Anfang März soorgte eine Messerattacke auf einen orthodoxen Juden für Erschütterung. Ein 15-Jähriger stach in Zurich auf den 50-jährigen Mann ein, als dieser gerade auf dem Weg zur Wohnung seiner Schwiegereltern war.

In einem Bekennervideo, das nach dem Vorfall auftauchte, schwor der Täter der Terrormiliz Islamischer Staat seine Treue und erklärte, dass es sein Ziel sei, möglichst viele Juden zu töten.

I am Oktober griff in 23-jähriger Student in China in Oerlikon mit einem Messer eine Gruppe Kinder aus dem Nichts an. Die Kindergärtler waren auf dem Weg in den Hort, als der Täter sie unvermittelt auf offener Strasse attackierte. Drei Buben wurden verletzt.

Die Vorfälle haben nichts miteinander zu tun. Und doch haben sie etwas gemein: Sie haben das Vertrauen ins Wanken gebracht, dass sich Terror und Amokläufe irgendwo fernab in anderen Ländern ereignen, aber nie in der Schweiz. Und sie verstärken ein Gefühl in der Bevölkerung. Das Gefühl, dass die Schweiz weniger sicher geworden ist. Und dass Zürich oder Basel ebenso verletzlich sind wie Paris, Solingen oder Wien.

Generell gilt zwar immer noch: Die Schweiz ist eine Insel der Geborgenheit. Und der Zukunftsoptimismus der Schweizerinnen und Schweizer ist bisher ungebrochen. Doch eine beträchtliche Zahl von Menschen glaubt, dass die Grenze näher rückt, Hinter der Chaos, Instabilität und Gewalt lauern.

Das hat mit den Grossen Krisen dieser Welt zu tun. Aber nicht nur: Es ist deshalb Aufgabe der Politik, das Vertrauen aufrechtzuerhalten.

Das Sicherheitsgefühl gelitten hat

Dass sich das Sicherheitsbedürfnis verändert hat, darauf weisen gleich mehrere in diesem Herbst veröffentlichte Befragungen hin. Eine Erhebung eines Meinungsforschungsinstituts im Auftrag des «Nebelspalters» ergab, dass das Sicherheitsbedürfnis in der Schweiz gestiegen ist. Vor allem bürgerlich wählende Personen gaben an, dass das Land unsicherer geworden sei. Aber auch ein Drittel der SP-Wählerschaft sprach von einem schwindenden Sicherheitsgefühl.

Ein ähnliches Bild zeigt sich in der linken Stadt Zürich. Alle vier Jahre fühlt die Stadtpolizei den Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt den Puls. Und auch in dieser Umfrage fällt auf: Für viele hat die gefühlte Sicherheitslage in der Stadt in den vergangenen fünf Jahren abgenommen. 27 Prozent der Befragten gaben an, die Sicherheit habe gelitten. Vor vier Jahren lag dieser Wert noch bei 17 Prozent, vor acht Jahren waren es 16 Prozent.

Das muss den Behörden zu denken geben.

Vor allem in der Nacht leidet laut dieser Studie das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung. Zu später Stunde und allein unterwegs, fühlt sich jede fünfte befragte Person nicht mehr sicher.

Bestimmte Orte werden nach dem Eindunkeln gemieden – allen voran das Langstrassenquartier, wo das Laster, verrohte Sitten und suspekte Figuren verortet werden. Aber nicht nur auf Nachtschattengewächse, sondern auch auf Dealer, Betrunkene, Jugendliche und Ausländer solle die Polizei ein besonderes Augenmerk richten, finden die Teilnehmer der Bevölkerungsumfrage.

Völlig aus der Luft gegriffen ist dieses veränderte Empfinden nicht. Laut der jüngsten Kriminalstatistik sind in Zürich und im ganzen Land in den letzten Jahren tatsächlich mehr Straftaten verübt worden.

Die Zahl der von der Polizei registrierten Straftaten hat in den vergangenen Jahren continuierlich zugenommen. Sie lag etwa im Kanton Zürich im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder bei über 100,000. Gegenüber dem Vorjahr nahm die Zahl der Straftaten um 8.7 Prozent zu – von knapp 96,000 auf 104,000 registrierte Delikte.

Es wurden nicht nur mehr Einbrüche und Diebstähle registriert, sondern auch mehr schwere Gewaltdelikte wie schwere Körperverletzungen und versuchte Tötungen. Eine starke Zunahme gab es in den letzten Jahren vor allem bei Gewaltdelikten, bei denen Schneid- und Stichwaffen im Spiel waren. Im Vergleich zum Jahr 2019 hat sich die Zahl der Messerattacken im Kanton Zürich gar verdoppelt – von 50 auf 105 Fälle.

Statistiken sind kein ausreichender Gradmesser

Aber Statistiken allein sind kein ausreichender Gradmesser für das Sicherheitsempfinden der Schweizerinnen und Schweizer. Das zeigte sich Mitte des letzten Jahrzehnts, als die Kriminalität im Land markant abnahm und die Deliktstatistiken der Polizei teilweise auf einem rekordtiefen Niveau lagen. Die Schweiz, eine Insel der Sicherheit, hätte man meinen können. Doch das schlug sich nur teilweise im Gefühl der Bevölkerung nieder. Auch damals lautete ein oft gehörtes Argument, dass wir in einer immer unsichereren Welt lebten.

Die Vermutung Liegt deshalb nahe, dass es nicht bloss auf tatsächliche Ereignisse in der näheren Umgebung der Menschen ankommt, sondern auf die grösseren Zusammenhänge: Die Schweizerinnen und Schweizer treibt ein generelles Bedürfnis nach Absicherung um. First Sicherheit, sozusagen.

Das trifft auf alle Lebensbereiche zu: Ein Zürcher Strandbad verliert eine ikonische Sitzmuschel, weil diese von den Behörden als zu gefährlich eingestuft wirdauf Lebensmitteln braucht es Hinweise darauf, welche Risiken man beim Verzehr eingeht.

Erklärungen dafür gibt es einige – eine lautet, dass in Zeiten von Terroranschlägen, Flüchtlingsströmen und Krieg die Welt als unberechenbarer empfunden wird. Einfluss auf das Empfinden haben nicht nur Einbrüche und Messerstechereien in der eigenen Stadt oder Gemeinde, sondern auch die globalen Krisen.

Und diese Krisen haben sich in den letzten Jahren augenscheinlich verstärkt. Der russische Überfall auf die Ukraine, der Krieg im Nahen Osten, die Islamistisch motivierten Terroraktionen or die Grosen Flüchtlingsströme aus Osteuropa und anderen Gegenden dieser Welt: Es sind die Grosen, globalen Entwicklungen, die den Sound verstärken. Das Gefühl globaler Unsicherheit und Ungewissheit, die vielen Krisen schlagen negativ auf das seelische Wohlbefinden vieler Menschen durch.

Das heisst aber nicht, dass nichts getan werden kann, um das Sicherheitsempfinden positiv zu beeinflussen. Und da ist eine gute Politik gefordert.

Ein paar Patrouillen in gelben Westen reichen nicht

Was passiert, wenn die Politik Lösungen versäumt, zeigte sich im vergangenen Jahr in Zürich auf der Bäckeranlage. Die Stadt schloss eine nahe gelegene Kontakt- und Anlaufstelle für die Drogenabhängigen. Daraufhin wurde der Park zu einem Freiluft-Fixerstübli. Der offene Crack-Konsum und Gewalt ängstigten das Quartierrun um die Anlage in Aussersihl.

Erst als die Stadt unter Hochdruck ein Provisorium erstellte, beruhigte sich die Situation wieder. Doch die offene Drogenszenehinterliess Spuren im Sicherheitsempfinden der Bürger. Diese empfinden Drogensüchtige und Drogendealer laut Umfrage als dringendstes Sicherheitsproblem, das durch die Polizei gelöst werden sollte.

Sowieso: Behörden, insbesondere die Polizei, geniessen in unsicheren Zeiten einen hohen Stellenwert. Entsprechend wichtig ist es, dass das Vertrauen in diese Institutionen erhalten bleibt. Ein personeller und technischer Ausbau im Sicherheitsbereich stösst auf viel Akzeptanz. Mehr noch, man erwartet von der Polizei ein consequenteres Handeln, etwa bei Demonstrationen. Aber auch bei Extremisten wie dem Teenager, der auf den orthodoxen Juden einstach, oder den beiden Jugendlichen, die verdächtigt werden, einen Anschlag auf die Zurich Pride geplant zu haben.

Es kommt an, wenn die Polizei auf das veränderte Sicherheitsempfinden reagiert, etwa indem sie mehr Präsenz markert. Dafür braucht es allerdings die nötigen serwislen Ressourcen. Es hilft zwar, wenn die grüne städtische Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart dem Wunsch nach mehr Patrouillen nachkommt. In Zurich sollen diese künftig zudem mit gelb Markerten Westen unterwegs sein, um sie sichtbarer zu machen.

Das Ganze ist aber nur nachhaltig, wenn auch dort Investmentiert wird, wo die Gefahr für die Sicherheit nicht auf den ersten Blick sichtbar ist. Im Kampf gegen das organisierte Verbrechen oder in der Prävention.

Wenn die Einsatzkräfte auf der Strasse patrouillieren, aber anderswo fehlen, hilft die ganze Show wenig. Dielinks-grün dominierte Stadtpolitik ist deshalb gut beraten, den Bedenken Rechnung zu tragen und ihren unsinnigen Widerstand gegen einen Massvollen Ausbau der Polizei aufzugeben.

Denn eine Gesellschaft, die Vertrauen in ihre Institutionen hat, braucht weniger Angst zu haben.